Harald Werner - Alles was links ist
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Die Schwerfälligkeit

des Alltagsbewusstseins

in der Krise

Seit einigen Wochen verharrt DIE LINKE bei der berühmten Sonntagsumfrage bei 10 bis 12 Prozent, obwohl sie schon einmal mit 14 gehandelt wurde. Erstens ist das natürlich immer noch ein stattliches Ergebnis und zweitens ist die Schwankungsbreite bei anderen Parteien auch nicht geringer. Trotzdem ist jedes Wochenende von mehr oder weniger klugen Artikeln über das Ausbleiben kräftiger Popularitätsgewinne der Linken begleitet. Bevor man sich den Kopf über diese schadenfrohe Besorgnis zerbricht, ist es angebracht darüber zu reden, weshalb die Krise nicht nur in der Sonntagsfrage keine Spuren hinterlässt, sondern überhaupt im Alltagsbewusstsein. Das Land ist ruhig wie eh und auch die Demonstrantenzahlen vom 28. März zeigten alles andere, als wachsenden Volkszorn an. Generell muss man sich nicht nur über die Wahlprognosen, sondern auch über andere Umfragen wundern. Sie demonstrieren einen erstaunlichen Widerspruch zwischen gesellschaftlicher und persönlicher Bedeutung der Krise. Während nämlich nur acht Prozent der Befragten die wirtschaftliche Lage mit gut aber 47 Prozent mit schlecht bewerten, stufen 43 Prozent ihre persönliche Situation mit gut und nur 14 Prozent mit schlecht ein.[1] Die Menschen wissen relativ gut über die Krise Bescheid und sie erwarten auch nichts Gutes, aber sie fühlen sich persönlich nicht betroffen. Das hängt einmal damit zusammen, dass die Krise bislang vor allem in den Medien angekommen ist, nicht aber im Alltag. Die Arbeitslosenzahlen sind nur moderat gestiegen, weil bis Ende März bereits rund 24.000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet hatten und die Menschen dank sinkender Energiekosten tatsächlich mehr Kaufkraft besitzen. Zum anderen gibt es zwei entscheidende Gründe, weshalb die Krise eher verdrängt wird, als dass sie zu einem Wechsel im gesellschaftlichen Bewusstsein führt.

Erstens muss man in Rechnung stellen, dass Menschen auf Bedrohungen zwar mit gesteigerter Aktivität reagieren, also mit Widerstands- oder mit Fluchtreaktionen, dass aber beide Handlungsweisen für viele abhängig Beschäftigte nicht zur Verfügung stehen. Während Unternehmer ihre Betriebe krisenfest machen können und Anleger aus ihren Engagements flüchten, sind die meisten Beschäftigten nur zur Verdrängung der Gefahr in der Lage, und in wenigen Fällen zum erfolgreichen Widerstand. Zweitens fällt die angekündigte Katastrophe mit einem gesellschaftlichen Zustand zusammen, den Ulrich Beck schon vor langer Zeit mit dem Etikett „Risikogesellschaft“ versah. Egal wie zutreffend der Begriff auch sein mag, so beschreibt er doch eine Epoche zunehmender Untergangsprophezeiungen, von denen die meisten nicht oder noch nicht eingetroffen sind. Auch die Naturkatastrophen, Terroranschläge und zunehmenden Kriege haben zwar den heimischen Fernseher erreicht, nicht aber den deutschen Alltag. So entsteht eine Mischung aus untergründiger Angstbereitschaft, eingeredeter Sicherheit und nicht bewusster Verdrängung, die eine realistische Kriseneinschätzung außerordentlich erschwert. Zumal die mediale Reizüberflutung eine Banalisierung des Schreckens nach sich zieht, wie das bereits in einer bald 100 Jahre alten Tagebucheintragung von Franz Kafka zum Ausdruck kommt: „Deutschland hat Russland den Krieg erklärt – nachmittags Schwimmschule“. Im Alltagsbewusstsein verwischen sich die Grenzen zwischen Alltäglichem und Ungewöhnlichem generell, wenn ungewöhnliche Nachrichten alltäglich werden. Vor allem aber wenn der individuelle Alltag selbst unübersichtlich wird. Die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise schließt sich an einen gesellschaftlichen Umbruch an, dem zahlreiche soziale Sicherheiten zum Opfer fielen und der die Existenzsicherung ebenso individualisierte wie die Zukunftsplanung. Die Folge ist ein zunehmender Dauerstress, der die Zahl der Beschäftigten mit psychisch bedingter Berufsunfähigkeit von 1997 bis 2004 um 70 Prozent nach oben trieb.[2] Alltäglicher Stress macht aber nicht nur krank, sondern führt auch in die soziale Isolation und schränkt die soziale Wahrnehmung ein, so dass über die eigene Lebenskrise gesellschaftliche Krisen in den Hintergrund treten. Wobei die neoliberale Modernisierung ohnehin schon den sozialen Zusammenhang gelockert und eine Flexibilisierung der Arbeits- und Lebensweise erzwungen hat, die zu individuellen Problemlösungen zwingt. All diese Momente sprechen nicht nur für eine höchst individuelle Krisenverarbeitung, sie behindern auch kollektive Widerstandsformen. Deshalb darf die Krise nicht nur als Chance für eine Linksverschiebung, sondern muss auch als Gefahr gesehen werden, weil das Alltagsbewusstsein im Zuge der weit reichenden Individualisierung und Vernichtung kollektiver Strukturen mehr zu autoritären, als zu demokratischen und solidarischen Lösungen tendieren dürfte. Es wird an der Organisations- und Kommunikationsfähigkeit der politischen und gewerkschaftlichen Linken liegen, ob dieser negative Ausgang der Krise Wirklichkeit wird oder ein wirklicher Paradigmenwechsel durchgesetzt werden kann. Dass dies schwierig wird, liegt nicht nur an den oben beschriebenen Veränderungen im Alltagsdenken. Noch problematischer sind die zu erwartenden Verteilungskämpfe, die notwendigerweise eintreten werden, wenn die Kosten der Krise zu verteilen sind. Auf Solidarität mit den Schwachen ist da kaum zu hoffen.

 Harald Werner 8. April 2009

 

 

 


[1] ZDF Politbarometer vom 27.März 2009, www.zdf.de/ZDFmediathek/content/723534

[2]           Wolfgang Gaebel Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) www.deam.de/news/infos07/stress1123.htm


[angelegt/ aktualisiert am  08.04.2009]