Harald Werner - Alles was links ist
 

Deutsche Flüchtlingsökonomie

Schon rein historisch gesehen verdankt kaum ein anderes europäisches Land seinen wirtschaftlichen Aufschwung so sehr der Einwanderung von Arbeitskräften wie Deutschland. Die Hugenotten verwandelten Preußen von einem ärmlichen Ackerland in eine Handwerks- und Handelsregion, die vor allem aus dem Osten einwandernden Juden leisteten einen großen Beitrag zur Entwicklung Deutschlands als Kultur- und Wissenschaftsnation und der industrielle Aufschwung des Ruhrgebiets wäre ohne polnische Arbeitskräfte kaum realisierbar gewesen. Auch das Wirtschaftswunder des westlichen Nachkriegsdeutschlands verdankt sich weniger dem Marshallplan und der Wirtschaftspolitik von Ludwig Erhard, als der Zuwanderung von rund zwölf Millionen Arbeitskräften. Das gilt vor allem auch für die vier Millionen DDR-Flüchtlinge, die in der Regel hoch qualifiziert waren und der BRD einige Billionen DM Schul- und Ausbildungskosten ersparten. Ein gewaltiger Gewinn, welcher sich in der DDR, als dem deutlich kleineren Land, als katastrophaler Verlust niederschlug.

Das große Pech der heutigen Flüchtlinge ist, dass das Land keinen Mangel, sondern einen Überschuss an Arbeitskräften besitzt. Dennoch fehlen der Wirtschaft qualifizierte Arbeitskräften, weshalb es der Bundesregierung und natürlich dem Kapital am liebsten wäre, man könnte Asylsuchende nicht nach ihrer Notlage selektieren, sondern nach ihrer Marktfähigkeit. Ebenso wie inzwischen von einer marktkonformen Demokratie gesprochen wird, wird es in Zukunft wohl um marktkonforme Asylbewerber gehen. Und obwohl wir tatsächlich ein Einwanderungsgesetz brauchen, ist vor diesem Hintergrund zu befürchten, dass es sich bei dem kommenden Gesetz hauptsächlich um ein Instrument der Arbeitsmarktpolitik handeln wird.

Der Anfang zur Anwerbung einer neuen Generation einwandernder Arbeitskräfte ist bereits gemacht. Während die Bundespolizei Videos für Serben, Albaner und Mazedonier produziert, die vor Ort die Aussichtslosigkeit einer Flucht zeigen sollen, liegen in den BRD-Botschaften und Konsulaten dieser Länder bereits offizielle Listen über deutsche Mangelberufe aus. Wer dazu gehört, kann sich bereits in Tirana, Belgrad oder Pristina ganz offiziell um einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz bewerben, ohne sich auf den gefährlichen und teuren Fluchtweg machen zu müssen.[1]

 

Flüchtlingspolitische Spracharbeit und Doppelzüngigkeit

Es ist ein probates Mittel der Politik, Tatsachen durch das Setzen von Begriffen entweder zu beschönigen oder zu verschleiern. So wie zum Beispiel der Sozialabbau eines Tages nur noch Reformpolitik hieß, nennt sich die Abschiebung von Asylbewerbern heute nicht Asylverweigerung, sondern maskiert sich als Abwehr von Asylmissbrauch. Eine äußerst dehnungsfähige Sprachregelung, weil sie Asylbewerber unter den Generalverdacht der „Einwanderung in unsere Sozialsysteme“ stellt, wie es regelmäßig in Teilen der politischen Elite heißt.

Wobei die flüchtlingspolitische Spracharbeit auf eine fatale Weise an den Kalten Krieg erinnert. Für die BRD waren die DDR-Flüchtlinge durchweg politische, für Honnecker Wirtschaftsflüchtlinge. In Wahrheit gab es beides. Was in der BRD heute ein krimineller Schlepper ist, wurde früher Fluchthelfer genannt. Die einen will man heute mit militärischen Mitteln bekämpfen, die anderen galten als Helden und bekamen auch schon mal ein Bundesverdienstkreuz. So etwa Burkhard Veigel, der „zwischen 1961 und 1970 etwa 650 DDR-Bürgern“ zur Flucht nach Westdeutschland verholfen hat. Zwischenzeitlich kassierte er dabei je Fall zwischen 5.000 und 8.000 DM.[2] 1977 versuchte ein solcher Fluchthelfer sein „Honorar“ von einem Flüchtling einzuklagen, weil der das Geschäft nachträglich als sittenwidrig einstufte. Der Fall landete letztlich beim Bundesgerichtshof der dem Fluchthelfer Recht gab, weil er  Flüchtende dabei unterstütze, „das ihnen zustehende Recht auf Freizügigkeit zu verwirklichen“ Der Fluchthelfer könne sich „auf billigenswerte Motive berufen und handle sittlich, nicht anstößig“.[3]

 Das ganze Gegenteil musste Hanna L. erfahren, ein syrischer Bauingenieur, der seit Jahren in Essen lebt und zunächst Verwandten zur Flucht nach Deutschland verhalf und dann mit Hilfe anderer weiteren Syrern die Flucht nach Deutschland ermöglichte. Hanna L. „wurde im Juli 2013 für das „Einschleusen von Ausländern“ zu 110.000 Euro Geldstrafe und zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt…Zum Zeitpunkt seiner Fluchthilfearbeit hatte Deutschland noch keinen einzigen Flüchtling aus Syrien legal aufgenommen.“[4]

Eine weitere Sprachschöpfung ist der „sichere Herkunftsstaat“, mit dem suggeriert wird, dass es dort keine Fluchtgründe gibt. Wer aus diesen Ländern kommt, also im Originalton Seehofer in unsere „Sozialsysteme einwandert“, für den ist ein Platz auf der Abschiebeliste gesichert. Doch was ist im Sinne des Gesetzes Sicherheit? Nicht mehr nämlich als die Abwesenheit von Krieg und der Verzicht auf eine flächendeckende und systematische Verfolgung politischer Gegner oder Religionsangehöriger. Wie scheinheilig diese Definition ist, zeigt sich umgehend, wenn man die überwiegend aus diesen Ländern kommenden Gruppen unter die Lupe nimmt: Es sind überwiegend Roma, die unter systematischer Diskriminierung zu leiden haben, Gewaltexzessen ausgesetzt sind um ihr Leben fürchten müssen. Dementsprechend sind 90 Prozent der Serben, die seit März diesen Jahres in die BRD flüchteten Roma, unter den Bosniern waren es 60 und von den Mazedoniern 63 Prozent.[5] In anderen EU-Ländern wird das übrigens anders als in Deutschland gesehen, hier erhalten deutlich mehr Roma Asyl als in Deutschland. Liegt es vielleicht daran, dass hierzulande noch eine Vorstellung von dieser Volksgruppe existiert, die an die „Zigeunergesetze“ und die Vernichtung der Sinti und Roma in den Konzentrationslagern erinnert? 

 

Harald Werner 30. Juli 2015

        

 


[1] Süddeutsche Zeitung, Abschreckende Botschaften, 30. Juli 2015

[2] Alex Rühle, Das Flüchtlingsverbrechen, Süddeutsche Zeitung 1. März 2015

[3] ebenda

[4] Süddeutsche Zeitung, a.o.O. 30. Juli 2015

[5] Süddeutsche Zeitung, Relativ verfolgt, 30. Juli 2015


[angelegt/ aktualisiert am  30.07.2015]