Harald Werner - Alles was links ist
 

Erinnerungsloses Vergessen

In der Politik gibt es bekanntlich kein Urheberrecht für gute Ideen. Das musste die LINKE bereits erfahren, als sich SPD und CDU zur Durchsetzung eines gesetzlichen Mindestlohnes entschlossen, den sie gemeinsam mit der Wirtschaft und leider auch den meisten DGB-Gewerkschaften über mehr als ein Jahrzehnt vehement bekämpft hatten. Nun wiederholt sich die Geschichte. Den ersten Aufschlag zur Ersetzung der früheren Sozialhilfe durch ein Mindesteinkommen, verbunden mit öffentlicher Beschäftigung und gesetzlichem Mindestlohn, machte die damalige PDS-Bundestagfraktion bereits 1998[1], erntete aber, mit Ausnahme der GRÜNEN, Ablehnung und Ignoranz von allen Seiten. Das Projekt konzentrierte sich aber nicht nur auf Beschäftigung und dem gesellschaftlichen Standard entsprechende Bezahlung, sondern verstand sich als Einstiegsbaustein für einen sozialen und ökologischen Umbau des Beschäftigungssystems.  Vorgesehen war ein „Fonds für soziale und ökologische Gemeinschaftsaufgaben“, der sich unter anderen aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit, aus einer zusätzlichen Arbeitsmarktabgabe, Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt und aus dem Interessenausgleich bei Massenentlassungen speisen sollte. In der Zukunftsperspektive sollte ein dem Genossenschaftswesen vergleichbares Netzwerk entstehen, das gemeinnützige Arbeitsplätze erschließen, eine demokratische Mittelvergabe sichern und neue Berufsbilder entwickeln sollte. Den ersten Aufschlag zu einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor versuchte die PDS-Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern, kam aber aus mangelnder finanzieller Grundlage nicht über Anfangsversuche hinaus.

 

Berliner ÖBS kontra Hartz IV

In Berlin gelang es erstmals der LINKEN, nach der Einführung von Hartz IV ein Gegenmodell zu entwickeln, das Ende 2008 mehr als 5.600 Arbeitsplätze in sehr unterschiedlichen Bereichen schuf. Schwerpunkt waren Felder, die den sozialen Zusammenhang in Problemkiezen verbessern, die Integration von Migranten erleichtern und selbstorganisierte Kulturprojekte unterstützen sollte. So entstand zum Beispiel das Modell der Kiezmütter, wo ÖBS-Beschäftigte Mütter aus Migrantenfamilien bei Behördenbesuchen begleiteten und Migrantenkindern Nachhilfe anboten. In der Kreuzberger Naunynstraße  wurde die Betreuung eines Migrantentheaters durch eine Intendantin finanziert und auf dem ehemalige UFA-Gelände in Tempelhof wurden selbstorganisierte Werkstätten bezuschusst. Die Bezahlung lag generell über dem gesetzlichen Mindestlohn und viele Projekte wurden von Qualifizierungsmaßnahmen begleitet. Natürlich war der finanzielle Rahmen eng und musste Jahr für Jahr erneut ausgehandelt werden, auch die Stetigkeit der Projekte war begrenzt. Als die rot-rote Regierung durch Schwarz-Rot abgelöst wurde, beendeten SPD und CDU das Projekt mit dem Hinweis: „Die Menschen finden jetzt einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt.“ Dass Hunderttausende Berliner immer noch in der Hartz IV-Falle steckten, wurde schlicht ignoriert.

Dass sich Michael Müller heute nicht mehr daran erinnert oder erinnern möchte, scheint erklärbar. Weniger erklärbar ist schon, dass sich selbst das Neue Deutschland nicht daran erinnern konnte, dass es in Berlin schon einmal eine Beschäftigungsalternative zu Hartz IV geben hat, sondern nur nebenbei erklärt, dass es sich dabei um eine „alte Forderung“ der LINKEN handelt.  

Harald Werner, 26.3.2018

 


[1] ´Bundestagsdrucksache 13/7147


[angelegt/ aktualisiert am  26.03.2018]