Harald Werner - Alles was links ist
 

Die Illusionen des „grünen Kapitalismus“

Die Akkumulation des Kapitals ist außerordentlich wandelbar, anpassungsfähig und wertneutral und kennt nur ein unumstößliches Gesetz, nämlich die Steigerung der Profitrate. Weshalb bereits Marx feststellte: „Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens“[i] So konnten die deutschen Chemiegiganten ihre Profitrate sowohl mit der Produktion von Giftgas, als auch mit neuen Medikamenten steigern und Krupp erzielte sowohl mit Kanonen, als auch mit Eisenbahnschienen Extraprofite. Warum also nicht auch mit scheinbar ökologischer Produktion, wie etwa mit Elektromobilität und Künstlicher Intelligenz, die nirgendwo so ertragreich ist wie in der Finanzindustrie?

 

Elektromobilität und künstliche Intelligenz sind gegenwärtig die Lieblingskinder des „grünen Kapitalismus“, weil damit das technische Potenzial eines ökologischen Umbaus bereits vorhanden scheint. Tatsächlich handelt es sich hier jedoch um technische Innovationen, die vor allem die Kapitalakkumulation beschleunigen sollen. Der Siegeszug des Internet, Industrie 4.0 und Elektromobilität sind keine der wissenschaftlich-technischen Forschung entsprungenen Innovationen, sondern verdanken ihre Entwicklung und weltweite Ausdehnung lediglich der Tatsache, dass sie die Akkumulation des Kapitals erheblich beschleunigten. Denn das Kapital entwickelt die Produktivkräfte immer nur in dem Maße wie sie die Profitrate erhöhen. Es ist ein reines Kindermärchen zu glauben, wissenschaftlich-technischen Innovationen würden aus sich heraus die Mittel für einen ökologischen Umbau bereitstellen. Die Richtung des technischen Fortschritts wird ausschließlich dadurch bestimmt, wie sie Extraprofite abwirft. Wer daran zweifelt, sollte die Profite der Digitalwirtschaft mit der traditionellen Industrie vergleichen.

 

Beispiel Elektro-Auto:        

Autos und darunter vor allem Dieselfahrzeuge besetzen momentan einen Spitzenplatz unter den Klimakillern, was einerseits den Vorteil hat, dass sich die Schuld am Klimawandel den privaten Autobesitzern anlasten lässt. Andererseits aber bietet sich die Autoindustrie aber auch als klimafreundlicher Retter an, indem sie auf Elektroautos umstellt. Abgesehen davon, dass die Ökobilanz des batteriegetriebenen Autos recht mager ausfällt, wenn man die Quellen des Stroms mit bilanziert, gehört die Produktion von Autobatterien und Mobiltelefonen zu den sowohl ökologisch, als auch sozial problematischsten Entwicklungen. Erstens muss ein Elektroauto gut „300.000 Kilometer bewältigen, um den hohen CO2-Ausstoß bei der Herstellung auszugleichen.“[ii] Andererseits aber werden zur Herstellung der Batterien nur noch begrenzt verfügbare Rohstoffe benötigt, die überwiegend in problematischen Ländern vorhanden sind. Erstens handelt es sich dabei meistens um Staaten, die von terroristischen Clans oder von Diktatoren beherrscht werden und zweitens sind die dortigen Arbeitsverhältnisse nicht nur prekär, sondern auch hoch gesundheitsschädlich. Mit dem Elektroauto wird demgemäß einerseits der Teufel mit Belzebub ausgetrieben und andererseits davon abgelenkt, dass nicht das Elektroauto die Alternative ist, sondern ein ebenso preisgünstiger wie komfortabler öffentlicher Personennahverkehr. Womit ein weiterer Hemmschuh für den ökologischen Umbau sichtbar wird, nämlich der vom Neoliberalismus ausgelöste Privatisierungswahn und sein Hunger nach ständig neuen Produkten.

 

Beispiel Dieselauto

Ich muss bekennen, seit rund 30 Jahren Diesel gefahren zu haben, weil sie weniger und billigeren Sprit als Benziner benötigen. Seit Kurzem aber sieht es so aus, als wäre der Diesel der schlimmste aller Umweltsünder. Auf Millionen Diesel wartet deshalb der Schrottplatz, mindesten aber das Aussperren  aus den Innenstädten, um die Klimabilanz zu verbessern. Technisch betrachtet ist der Diesel aber nur deshalb ein Ökosünder, weil er gefährlichen Feinstaub absondert, der Atemkrankheiten verursachen kann. Wenn es jedoch um den Klimaschutz geht, also um den Ausstoß von CO2, müsste man nicht die Diesel durch Benziner ersetzen, sondern umgekehrt, die Zahl der Benziner zu Gunsten von Dieselfahrzeugen verringern, weil der Diesel deutlich weniger CO2 in die Atmosphäre bläst. „Bei einer durchschnittlichen Fahrleistung von jährlich 15.000 Kilometern und einem Neuzulassungsvolumen von rund 3,4 Millionen Pkw“ würden nach einer Berechnung des BDI „knapp 648.000 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart. Das ist so viel, wie eine Kleinstadt mit 70.000 Einwohnern jedes Jahr emittiert.“[iii] Natürlich wäre die einzig richtige Lösung, den Autoverkehr zu Gunsten von Bahnen und Bussen zu verringern. Doch das schnellere und größere Geschäft ist natürlich, Millionen Diesel zu verschrotten und die gleiche Zahl neuer Benziner zu verkaufen. Wenn schon Umweltschutz, dann muss er sich für die Autoindustrie auch lohnen.

 

Beispiel Digitalisierung:   

Ohne Zweifel haben Computer und Internet seit der Entwicklung der Dampfmaschine den größten Technologieschub ausgelöst. Doch der PC hat seinen eigentlichen Entwicklungsschub erst am Ende der 1980er bekommen, obwohl die technischen Grundlagen schon Jahrzehnte vorher gelegt wurden. Die gleiche Geschichte in Bezug auf das Internet. Es wurde bereits in der Mitte der 1960er als militärisches Instrument des Raketenkrieges entwickelt. Der Siegeszug des PC begann, als sich dafür ein gewaltiger Markt entwickelte, denn sowohl Internet als auch PC beschleunigten nicht nur die private Anwendung der Technologie, sondern öffneten vor allem neue Geschäftsfelder jenseits aller technischen Neuerung. Waren es am Anfang hauptsächlich die Produzenten der Hardware, deren Gewinne außerordentlich nach oben schnellten, so explodierten plötzlich die Aktien, als die Entwickler von Programmen und die Anwender von PC und Internet auf den Markt traten. Innerhalb nur weniger Jahre wuchs der Unternehmenswert von Mikrosoft, Apple , Google und anderen in einer Geschwindigkeit die alle bisherigen Entwicklungsbooms des Kapitalismus in den Schatten stellten. Und nicht nur das: Mit der Entwicklung von sogar lernfähigen Algorithmen entfaltete sich das Finanzkapital zu einem alle ökonomischen Bereiche und Volkswirtschaften beherrschbaren Faktor.

Und auch hier war es nicht die Entwicklung der Technologie entscheiden, sondern der Hunger des Kapitals nach Extraprofiten, die die wissenschaftlich-technische Entwicklung vorantrieb. Gern wird darauf verwiesen, was sich mit dieser Technologie nicht alles an zivilisatorischen, sozialen und ökologischen Wohltaten verwirklichen ließe. Es b leibt jedoch beim Konjunktiv, weil die Akkumulation des Kapitals wie schon immer die Entwicklungsrichtung von Wissenschaft und Technik bestimmt. Ohne Zweifel gibt es zahllose Ideen, wie die Digitalisierung das Leben und die Zukunft der Menschheit verbessern könnte – nur gibt das der Markt nicht immer her. Mit dem Verkauf von Daten und dem Einsatz von Logarithmen in der Finanzwirtschaft lässt sich ungleich mehr und auch schneller Geld verdienen, als mit Anwendungen, die dem Gemeinwohl nutzen oder die Lebensqualität verbessern.

 

Alles Öko?

Wer in der Zeit des drohenden Klimakollaps auf den Wertewandel hofft, kann sich schon heute davon überzeugen, dass die Uhr trotz vielfachen Wertewandels nicht mehr fünf Minuten vor sondern nach dem point of no return steht. Individuelle Verhaltensänderungen und auch die international vereinbarten Klimaziele waren nicht nur zu bescheiden, sondern gingen auch an den entscheidenden Problemen vorbei. Nämlich an der Ausweitung und dem immer schnelleren Wandel des Konsums, wie er von der Werbung und der moralischen Entwertung von Konsumprodukten vorangetrieben wird. Wie dubios „Öko“ zuweilen sein kann, zeigt das Beispiel einer Berliner Schule, die sich den Titel einer „Umweltschule“ verdiente, aber die Hälfte ihrer Klassenreisen mit dem Flugzeug macht. [iv]  Nicht, dass individuelle Anstrengungen sinnlos wären, doch sie werden den Klimawandel eben so wenig aufhalten, wie der Fleischkonsum durch einen veganen Speiseplan zu beschränken ist. Fast ist das Gegenteil der Fall: Die Konzentration auf subjektive Alternativen versperrt bei vielen auch den Blick auf die objektiven Ursachen des Klimawandels, nämlich die Akkumulation des Kapitals, die letztlich nicht nur unsere sozialen Verhältnisse bestimmt, sondern auch unser Verhältnis zur Natur. Auch wenn immer mehr Leute aufs Fahrrad umsteigen und Städte sich zur fahrradfreundlichen Stadt entwickeln wollen, bleibt der Kapitalismus das größte ökologische Problem, weil er auf die Ausbeutung von Gratiskräften, von der Ausbeutung der lebendigen Arbeit bis zur Vernichtung der Natur angewiesen ist. Marx hat das in einer Replik auf den britischen Ökonomen Petty auf den Punkt bracht. Als Petty feststellte, dass die Mutter des Reichtums die Natur und sein Vater die Arbeit sei, konterte Marx ironisch, dass der Kapitalismus in diesem Sinne ein Elternmörder sei, weil er die Natur und die Arbeit vernichte.   

Harald Werner 23.1.19

 


[i] MEW, Bd. 23, S. 788

[ii] https://www.yello.de/mehralsdudenkst/oekobilanz-vom-elektroauto

[iii] https://bdi.eu/artikel/news/die-verbrennungstechnologien-im-vergleich/

[iv] Tagesspiegel vom 20. Januar 19, S.4


[angelegt/ aktualisiert am  23.01.2019]