Harald Werner - Alles was links ist
 

Was mich stutzig macht

Seit über 50 Jahren habe ich mich aktiv an allen nur denkbaren Demonstrationen beteiligt – von den Ostermärschen, gegen die Notstandsgesetze, den Vietnamkrieg, die Abschaffung des § 218, Berufsverbote und Kernkraftwerke, die Stationierung von Pershing 2, und noch vieles mehr. So unterschiedlich und mehr oder weniger radikal die Auseinandersetzungen auch waren, sie hatten klare Gegner, nämlich die politisch und ökonomisch herrschenden Eliten. Was all diese früheren Bewegungen von Fridays fort Future unterscheidet, ist das allgemeine Lob mit dem Fridays for Future bedacht wird. Abgesehen von einer Handvoll hartnäckiger Leugner des Klimawandels, gibt es aus allen politischen Lagern und internationalen Institutionen für Fridays for Future nur Zustimmung und Lob. Wann hat es jemals eine weltweite Protestbewegung gegeben, die keinen realen politischen Gegner hatte, deren Leitfigur eingeladen wurde, auf einem Uno-Gipfel zu sprechen und die für den alternativen Nobelpreis vorgeschlagen wird?  

 

Das mag auch daran liegen, dass Fridays fort Future nur fordert, was das Pariser Klimaabkommen längst schon beschlossen hat: Zum Beispiel das Ende der Subventionen für fossile Brennstoffe, das schnelle Abschalten der Kohlekraftwerke, die Erderwärmung auf 1,5 Prozent zu begrenzen oder den Ausstoß von CO2 zu besteuern. Kein Wunder also, dass die politische Klasse, einschließlich der neoliberalen Ökonomen, Fridays für Future applaudieren: Das ist keine Rebellion gegen die Eliten, sondern ein Apell, das auch zu tun, was sie versprochen haben – radikal ist das nicht.

 

Der blinde Fleck von Fridays for Future.

Die Agenda von Fridays for Future ist so abstrakt, dass sich alle ganz allgemein aber niemand konkret angesprochen fühlen muss. Und natürlich werden klimabewusste Menschen weniger Autofahren, im Haushalt Energie sparen und vielleicht auch nicht mehr in den Urlaub fliegen, doch das kann`s doch nicht gewesen sein. Man ist dann zwar moralisch auf der richtigen Seite, doch Politik wird nicht von Moral bestimmt, sondern von Interessen - zu forderst vom Interesse der Kapitaleigner, durch den Einsatz von Kapital eine Rendite zu erzielen.   Auffallend in diesem Zusammenhang ist bei Fridays for Future, dass sich die Bewegung zwar umfassend auf naturwissenschaftliche Prozesse bezieht, nicht aber auf ökonomische. Ihre durchaus richtige Wachstumskritik übersieht, dass der Kapitalismus nicht durch individuelle Konsumbedürfnisse vorangetrieben wird, sondern durch „normale“ Renditeerwartungen. Selbst der Kleinsparer erwartet noch, dass seine Anlage Jahr für Jahr verzinst wird. Was dabei herauskommt ist exponentielles Wachstum, weil sich selbst der prozentual gleichbleibende Zinsgewinn auf ein höheres Kapital bezieht. Von Jahr zu Jahr wächst auf diese Weise der renditehungrige Kapitalstock, so dass inzwischen nur 50 Menschen die Hälfte des globalen Vermögenskapitals besitzen.  Dementsprechend wird es keine Antworten auf die Klimafrage geben, ohne gleichzeitig die Eigentumsfrage zu beantworten. Das gleiche gilt natürlich für die soziale Frage. Der von Friday für Future bevorzugte Weg, den Ausstoß klimaschädlicher Gase zu „bepreisen“, also gewissermaßen eine Steuer auf sie zu erheben, wird am stärksten die armen oder gering verdienenden Schichten treffen. Wenn etwa die Sprit- oder Energiepreise steigen, werden die Besserverdienenden das hinnehmen können. Viele Arme aber müssen ihr Auto abschaffen, die Heizung herunterfahren oder den Urlaub streichen.

 

Zwischen Ermüdung und Radikalisierung

Gesellschaftliche Umbrüche vollziehen sich seit Jahrtausenden nicht durch Überzeugungsarbeit, sondern die Veränderung von Machtverhältnissen. Welche Macht aber hat Fridays for Future, um das durchzusetzen, was die Bewegung fordert?  Sie besitzt zwar eine große moralische Kraft, mehr aber auch nicht. Die Geschichte zeigt jedoch, dass jede Bewegung, wenn sie keine abrechenbaren Erfolge durchsetzen kann, entweder abebbt oder sich radikalisiert. Das Letztere scheint bereits begonnen zu haben: Ab 7. Oktober will „Extinction Rebellion“ in Berlin zentrale Plätze, Straßen oder Brücken besetzen um die Regierung zu zwingen, den Klimanotstand auszurufen. Auch das noch gewaltfrei, doch auf der Plattform „indymedia.org“ wird seit dem 29. September wird im Namen von Fridays for Future bereits zum Generalstreik aufgerufen: „Zu einem richtigen Generalstreik“ so heißt es da „gehören auch Blockaden und feurige Sabotageaktionen. Menschen, die nicht pünktlich zur Arbeit, zur Schule, zur Universität kommen, verursachen einen wirtschaftlichen Schaden. Heute haben wir die Reiseverbindung zwischen Flughafen Schönefeld, Berlin, Erkner, Cottbus und Frankfurt (Oder) gekappt. Der Pendelverkehr der Regionalbahn von und zum Flughafen ist dadurch unterbrochen worden. Flugpersonal und Reisende kamen zu spät an.“ (https://de.indymedia.org/node/37756) Natürlich ist der selbst ernannte Ableger von Fridays for Future eine Farce, doch er hat das Zeug zu einer Tragödie.

 

Der lange Marsch durch die Institutionen - schwierig aber alternativlos

Es hat schon seine Gründe, dass Fridays for Future nicht auf die demokratischen Institutionen setzt, sondern auf das Protestpotenzial der jungen Generationen. Doch letzten Endes müssen es Parteien, Parlamente und gewählte Regierungen sein, die einen radikalen Bruch mit der aktuellen Vergeudungs- und Wachstumspolitik vollziehen. Dass es prinzipiell möglich ist, mit dem Rückenwind kampfbereiter Parteien gesellschaftliche Paradigmenwechsel durchzusetzen, haben sowohl sozialdemokratische und kommunistische Parteien, gerade aber auch die Grünen bewiesen. Man mag sich an diese Siege vielleicht nicht mehr erinnern, weil davon meistens wenig übriggeblieben ist, doch das heißt noch lange nicht, dass man deshalb auf den „langen Marsch durch die Institutionen“ verzichten sollte. Das vor allem deshalb nicht, weil nur politische Parteien und demokratisch gewählte Regierungen in der Lage sind, Gesetze zu verabschieden, Steuern zu erhöhen oder auch die Macht des Finanzkapitals zu beschränken.

Es ist nicht möglich, Fridays for Future mit der 68er Bewegung zu vergleichen, die das gesamte gesellschaftliche System in Frage stellte, doch man kann aus ihrer Wirkungsgeschichte lernen. Denn ohne die 68er hätte es keine grundlegende Bildungsreform gegeben, keine Liberalisierung der Lebensweise, auch nicht die Parole von Willy Brandt, „mehr Demokratie wagen“, und auch keine der daraus folgenden Reformen des Sozialstaats, einschließlich der Weiterentwicklung der Mitbestimmung in Betrieben und Hochschulen. Die der 68er Bewegung folgenden Reformen wären aber auch nicht möglich gewesen, ohne den berühmten „langen Marsch“ durch die Institutionen. Zu Tausenden wurden die Apo-Aktivist*innen Mitglieder SPD und gründeten daneben diverse andere linke Parteien, bis hin zu den Grünen. Man kann den Aktivist*innen von Fridays for Future nur empfehlen, dem nachzueifern. Denn es reicht nicht aus, die Parteien von außen unter Druck zu setzen oder an sie zu appellieren, man muss in sie eindringen. Um keine Missverständnisse zu erzeugen: Mein Vertrauen in Parlamente und Regierungen ist durchaus begrenzt. Ein wirklich demokratischer Prozess setzt immer auch außerparlamentarische Bewegungen und die Mitwirkung von Interessenverbänden, vor allem der Gewerkschaften voraus. Ohne sie gibt es keine wirkliche Demokratie.

 

Harald Werner 4.10.19


[angelegt/ aktualisiert am  05.10.2019]