Harald Werner - Alles was links ist
 

Die Individualisierung des Terrors

Auffallend an Terroranschlägen wie in Halle oder Hanau ist, dass sich hinter ihnen - anders als beim NSU – keine organisierten Strukturen finden. Es handelt sich immer häufiger um Einzeltäter, die sich nicht nur in den sozialen Netzen radikalisieren, sondern dort auch Anerkennung suchen. Anerkennung aber findet man in den rechtsextremen Filterblasen der Netze am ehesten dadurch, dass man sich radikalisiert. Erst durch verbale Zuspitzungen, am besten aber dadurch, dass man eigene Anschläge, wie im neuseeländischen Christchurch oder vor der Synagoge in Halle, selbst filmt und ins Netz stellt. Seit dem es solche Amokläufer gibt, die wahllos und scheinbar grundlos Menschen ermorden, gibt es auch umfangreiche Untersuchungen zur Psyche dieser Täter. Vor allem nach den so genannten „School Shootings“ in den USA schien sich die Hypothese von den psychischen Ursachen des Terrors zu bestätigen. Denn „fast zwei Drittel der Täter (61 Prozent) waren vor der Tat extrem depressiv oder verzweifelt, 78 Prozent hatte Suizidgedanken.“[1] Leider gibt es keine Studien, die gleichzeitig untersuchten, weshalb die Täter überhaupt depressiv wurden oder sich sogar das Leben nehmen wollten.

 

Allerdings ist zu vermuten, dass für die psychischen Probleme der Täter weniger individuelle Dispositionen als soziale oder gesellschaftliche Defizite verantwortlich waren. Überhaupt werden in der Diskussion über die Zunahme rechtsradikaler Anschläge vor allem die geistigen Brandstifter verantwortlich gemacht, weniger aber über die sozialen und gesellschaftlichen Umstände nachgedacht, die den Nährboden des zunehmenden Rechtsradikalismus und Terrorismus schaffen.

 

Kontrollverluste und Götterdämmerung

Von Maggy Thatcher ist der Satz überliefert: „Ich kenne keine Gesellschaft, ich kenne nur Individuen.“ Womit sie in gewisser Hinsicht durchaus recht hatte, denn die neoliberale Modernisierung zeichnet sich nicht nur durch die Deregulierung sozialer Standards aus, sondern zerstört auch das gesellschaftliche Wertesystem. In einer Gesellschaft, die vor allem vom Markt geregelt wird und die Konkurrenz aller gegen alle predigt, geraten vor allem die Verlierer des Konkurrenzkampfes ins Abseits. Dazu gehören nicht nur die augenscheinlich Armen und Ausgegrenzten, sondern immer mehr auch gut Qualifizierte mit Karriereknick. Bei ihnen überwiegt das Gefühl, dass das Wertesystem aus den Fugen geraten ist und die da oben nicht mehr können oder auch nicht mehr wollen was man von ihnen erwartet.  

In der Psychologie wurde dafür der Begriff des Kontrollverlustes[2] entwickelt, einer diffusen Angst vor der zunehmenden Regellosigkeit der Gesellschaft. Und wie bei jeder Angst, führt sie bei den einen zum Rückzug und mündet bei den anderen in Aggressionen. Die meisten Menschen aber haben kein persönliches Bedürfnis, Kontrolle auszuüben, sondern vertrauen auf die Handlungsfähigkeit der politischen oder ökonomischen Institutionen. Je mehr sich aber die Politik als handlungsunfähig erweist und die eigentliche Macht von Konzernen – oder Finanzinstitutionen ausgeübt wird, die sich an keinerlei Regeln halten, desto stärker wird das Gefühl eines allgemeinen Kontrollverlustes. Es ist wie bei einer Götterdämmerung – die Mächtigen verlieren ihre Macht oder ihre Glaubwürdigkeit – meistens aber beides.

 

Das Gewaltpotenzial der Konkurrenzgesellschaft

Kein Begriff kennzeichnet das Wesen der neoliberalen Modernisierung besser als die Metapher vom „Arbeitskraftunternehmer“. Einerseits ist es natürlich Unsinn, Lohnabhängige als Unternehmer zu bezeichnen, anderseits aber beschreibt sie den Kern der neoliberalen Modernisierung. Es geht nämlich darum, die kollektive Absicherungen der Beschäftigten durch individuelle Konkurrenzen zu ersetzen. Und obwohl es noch Tarifverträge und solidarische Kämpfe gibt, hat die individuelle Selbstermächtigung längst schon den Alltag erreicht. Am deutlichsten zeigt sich das in der zunehmenden Gewaltbereitschaft, der vielfach kritisierten Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr, bei dem die Teilnehmer Konkurrenzen austragen und sich als überlegenes Individuum inszenieren. Die neoliberale Modernisierung lässt kaum eine Lebenstätigkeit aus, in der nicht Überlegenheit inszeniert wird. Bis hin zu der teilweise obskuren Neigung, sich als unverwechselbares Individuum zu inszenieren. In vielen Milieus ist man deshalb nur noch normal, wenn man nicht mehr normal ist. Und natürlich ist das ein enormer Markt, dessen hauptsächliches Ziel die Erwirtschaftung von Profiten ist.

 

Auf der Suche nach den angeblich Schuldigen  

Der wachsende Kontrollverlust und das zunehmende Gefühl vieler Menschen, nicht mehr Herr im eigenen Haus zu sein, mündet zwangsläufig in die Suche nach den angeblichen Verursachern und Schuldigen, produziert aber auch Verschwörungstheorien. Das ist dann auch der Nährboden auf dem die Angst vor angeblicher Überfremdung wuchert, sich Fremdenfeindlichkeit entwickelt und Verschwörungstheorien die Runde machen. Vieles davon erinnert an den Siegeszug des Faschismus in den 1930er Jahren, doch es gibt einen gewaltigen und gefährlichen Unterschied. Die militanten Rechtsradikalen von heute bedürfen keines finanziell und organisatorisch aufwendigen Propagandaapparates mehr, sondern bedienen sich der angeblich sozialen Netze, die jedem offenstehen und kaum Kosten verursachen. Und das ist wahrscheinlich das Beängstigendste am heutigen Faschismus, er bedarf keines Führers oder Göbbels, sondern hauptsächlich leistungsfähiger Rechner und politischer Parteien, die völlig legal parlamentarische Institutionen erobern können. Von da aus können sie dann, wie die AfD Fraktionsvorsitzende Alice Weidel hetzen: “Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.”[3]

 

 

 

 

 


[1] Joachim Bauer, Schmerzgrenze, München 2013, S.88

[2] Vergl. Klaus Holzkamp, Grundlagen der Psychologie, Frankfurt am Main, S.243

[3] Alice Weidel Deutscher Bundestag, 16.5.20118


[angelegt/ aktualisiert am  24.02.2020]