Harald Werner - Alles was links ist
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Allensbach

analysiert den

Sozialismus

Die Allensbacher Demoskopen haben sich in diesem Monat dem Sozialismus zugewandt und dabei so überraschende Ergebnisse erzielt, dass die FAZ völlig konsterniert feststellen musste:  „Das Idealbild des Sozialismus hat das Ende der kommunistischen Diktaturen bemerkenswert unbeschadet überstanden.“[1] Als Ursache macht der Autor Thomas Petersen nicht nur das Erstarken der Linken aus, sondern umgekehrt: Die Linke erstarkt, weil die Menschen ein gänzlich anderes Verständnis von Freiheit und Sozialismus haben, als man nach dem jahrzehntelangen Herunterleiern der Formel „Freiheit statt Sozialismus“ annehmen möchte.  Allensbach hatte in seiner Untersuchung gefragt:  

"Wenn jemand sagt: ,Es heißt nicht Freiheit statt Sozialismus, es heißt Freiheit und Sozialismus, besser noch: Freiheit durch Sozialismus" - sehen Sie das auch so, oder sehen Sie das nicht so?"

Und siehe da, im Juli 2007 stimmten dem 22 Prozent  der repräsentativ ausgewählten Bundesbürger zu. 42 Prozent widersprachen aber bemerkenswerte 36 Prozent waren sich nicht sicher, was die FAZ stark verunsicherte und weshalb sie umgehend eine Debatte über Freiheit statt/und/oder Sozialismus lostrat. (Dazu unten mehr) Gleichzeitig stellt die FAZ ernüchtert fest, dass sich das Bewusstsein der Westdeutschen in Sachen Sozialismus mehr den Ostdeutschen angepasst hat als umgekehrt.

„Seit 1991 stellt das Allensbacher Institut regelmäßig die Frage: "Halten Sie den Sozialismus für eine gute Idee, die schlecht ausgeführt wurde?" Unmittelbar nach Erreichen der deutschen Einheit stimmten 30 Prozent der westdeutschen Bevölkerung der Aussage zu, 45 Prozent wiesen diese These von sich. In den neuen Bundesländern überwog dagegen von Anfang an die Annahme, dass der Sozialismus als solcher eigentlich eine gute Idee und nur seine Umsetzung gescheitert sei. Heute sagen 45 Prozent der Bürger in den alten Bundesländern, der Sozialismus sei eine gute Idee, die nur schlecht umgesetzt worden sei, nur noch 27 Prozent widersprechen. Angesichts dieser Entwicklung müssen Hinweise darauf, dass der Sozialismus in der DDR gescheitert sei, mehr und mehr ins Leere laufen.“

Dass inzwischen knapp die Hälfte der Westdeutschen den Sozialismus für eine gute Idee halten ist sicher kein Erfolg der Linken aber Grund genug, daraus einen Erfolg zu machen. In der SPD dürften die Ergebnisse von Allensbach wie eine wie eine Bombe eingeschlagen sein. Allerdings nicht wegen der westdeutschen Sozialismus-Sympathie.

 

„Die Analyse des Instituts für Demoskopie Allensbach….zeigt die Stärken der Linkspartei: …44 Prozent der Bevölkerung trauen der Linken, aber nur 9 Prozent der SPD zu, soziale Unterschiede zwischen Arm und Reich abzubauen".[2]

 

Sozialismus und Freiheit

Insbesondere einige Vordenker der PDS haben sich lange gemüht, eine taugliche Verbindung zwischen Sozialismus und Freiheit, beziehungsweise den viel zitierten  Freiheitsgütern hin zu bekommen. Oskar Lafontaine, unbeeinflusst durch negative DDR-Erfahrungen, setzte dagegen ein entschiedenes „Freiheit durch Sozialismus“ in die öffentliche Debatte und kann sich nun durch das oben zitierte Umfrageergebnis bestätigt fühlen. Beunruhigt stellt die FAZ fest:

„Es fällt auf, dass sich im Bewusstsein der Bevölkerung die Erinnerung an die SED-Diktatur und die Grundeinstellung zum gesellschaftlichen Ideal des Sozialismus voneinander entfernen….Der Gedanke, dass es auch das kollektivistische Grundprinzip gewesen sein könnte, das das sozialistische System zum Scheitern verurteilt hat, liegt den Menschen heute ferner denn je,“

 

Das ist es denn auch was Thomas Petersen im Grunde genommen wirklich bewegt. Die DDR reicht nicht mehr aus, um die sozialistische Idee zu diskreditieren und immer weniger Befragte glauben, dass es einen unüberwindbaren Gegensatz zwischen Demokratie und Sozialismus – oder anders ausgedrückt, zwischen Freiheit und Sozialismus gibt. Natürlich fühlen sich Herr Petersen und seinesgleichen unverstanden, waren sie doch immer schon überzeugt, dass nur der liberale Kapitalismus persönliche Freiheit garantieren könne. Kopfschüttelnd registriert der Autor deshalb, dass die Bürgern nicht begreifen,

 

„dass es eine Anmaßung bedeuten könnte zu glauben, der Staat könne das Leben der Menschen besser regeln als sie selbst.“

Und hier beginnt die eigentlich interessante Auseinandersetzung. Hinter der abstrakten Entgegensetzung von Freiheit und Sozialismus öffnet sich ein Abgrund verschiedener Sozialerfahrungen, vor allem aber zwischen völlig entgegengesetzten Menschen- und Gesellschaftsbildern. Auf der einen Seite der durch den neoliberalen Zeitgeist verjüngte Bourgeois und auf der anderen die besten Köpfe der Aufklärung, einschließlich der Linken. Wobei es bedeutsam ist, dass die gute alte Tante FAZ die Lage offensichtlich bedrohlich genug findet, um gerade jetzt eine solche Debatte aufzumachen. War sie nicht eigentlich erledigt, durch Neokonservatismus und Postmoderne?

Doch beginnen wir mit den unterschiedlichen Sozialerfahrungen der Menschen. So hat die Empfängerin von Hartz IV vermutlich keine guten Erfahrungen mit diesem Staat gemacht, der ihr die Arbeitslosenhilfe genommen, die Gesundheitsleistungen gekürzt und der sie unter die Armutsgrenze verbannte aber gleichzeitig Milliardengeschenke für die besserverdienenden Steuerzahler ausreichte – Herr Petersen dürfte wohl zu den Letzteren gehören. Ist es eine „Anmaßung“, wenn diese Frau hofft, „der Staat könne das Leben der Menschen besser regeln als sie selbst“?  Auf wen können die Millionen armen Arbeitslosen und ihre Kinder, die armen Vollzeitbeschäftigten und verarmten Rentner anderes hoffen, als auf einen zeitgemäßen Sozialstaat? Ja, werden Petersen & Co sagen, aber hat nicht die DDR gezeigt…? Genau das ist der Punkt: Dieses Schreckgespenst kann kein Grauen mehr vermitteln, seit der Neoliberalismus den Menschen das Fürchten lehrte.

Vermutlich werden sich andere als Thomas Petersen finden, um hier anzusetzen, nämlich an der Belebung des realsozialistischen Grauens. Wir sollten nicht der Versuchung erliegen, die Auseinandersetzung auf diesem Feld zu suchen. Es taugt dazu nicht. Wenig kann die Idee des Sozialismus mehr diskreditieren, als die Verteidigung eines missglückten Versuchs.

Doch der FAZ-Artikel wie die Allensbacher Demoskopen zielen auf eine ganz andere Klientel. Ihr ideologischer Weckruf gilt den bildungsnahen Schichten, vom studierten Gewerkschaftssekretär bis zur liberalen Hochschuldozentin. Er zielt genau auf jene soziale Schichten, die schon immer verdächtig waren, in Zeiten einer Linksverschiebung dem von Herrn Petersen formulierten „Zauberklang des Sozialismus“ zu erliegen. Und deshalb belässt es die FAZ auch nicht bei den nackten Allensbacher Zahlen. Nach dem sie ihre Seiten Oskar Lafontaine für einen Grundsatzartikel öffnete, beginnt sie nun eine theoretisch-ideologische Auseinandersetzung, über die wir uns im Grunde nur freuen können. Erstens spricht sie für die wachsende Ausstrahlung der Linken und zweitens ist sie gewinnbar. Vorausgesetzt, wir führen sie auf zwei Feldern. Einmal auf dem Terrain der Alltagserfahrungen und zum anderen dort wo die FAZ sie haben will – in der geistigen Selbstreflektion dieser Gesellschaft.  

Harald Werner 18.07.07

 


[1] Thomas Petersen, Der Zauberklang des Sozialismus, Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.07.2007

[2] Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.07.07


[angelegt/ aktualisiert am  18.07.2007]