Harald Werner - Alles was links ist
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Ein neuer Revolutionszyklus mit ungewissem Ausgang

Zunächst einmal die gute Feststellung: Revolutionen bleiben trotz Globalisierung ein Motor der Geschichte. Ja, die Globalisierung erhöht dank neuer Kommunikationsmittel die Ansteckungsgefahr. Auch kann man als Linker beruhigt feststellen, dass Revolutionen, wie etwa in der DDR, nicht zwangsläufig zur Rekonstruierung kapitalistischer Herrschaft führen.

Die weniger positive Feststellung ist, dass die Rebellionen in Tunesien und Ägypten zunächst einmal alles andere als antikapitalistisch waren. Es gibt viele Hinweise dafür, dass es sich um nachholende Revolutionen handelt, die einen despotischen in einen moderneren Kapitalismus verwandeln werden. Also eigentlich bürgerliche Revolutionen sind. Es wurden bürgerliche Freiheiten erkämpft, die unseren nahe kommen, aber trotzdem weit entfernt vom europäischen Revolutionszyklus des 18. des 19. Jahrhunderts entfernt sind, weil diese immer hin nicht nur Freiheit, sondern Gleichheit auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Auch muss man sich daran erinnern, dass einige soziale Revolutionen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie etwa in Portugal, links begannen aber rechts endeten. Auch Portugal erlebte eine nachholende Revolution, die dem Land eine produktivere Phase kapitalistischer Entwicklung, aber keine sozialistische eröffnete. Und wie in Ägypten spielte auch hier das Militär zunächst eine revolutionäre Rolle, um sich anschließend umso intensiver in die NATO zu integrieren.

Der mögliche Ausgang der Revolutionen in Tunesien und Ägypten muss also skeptisch betrachtet werden. Zumal das ägyptische Militär nicht nur äußerst enge Bindungen an die USA unterhält, sondern einen militärisch-industriellen Komplex darstellt, der politisch und ökonomisch höchst relevant ist. Die dort herrschende Elite hat die Revolution voraussichtlich auch deshalb unterstützt, um sich neue wirtschaftliche Perspektiven zu eröffnen.

Das Neue im arabischen Revolutionszyklus

Bei den Rebellionen in Tunesien und Ägypten fällt eine Besonderheit auf, die für sämtliche arabischen Staaten zutrifft, mit Ausnahme vielleicht einiger Golfstaaten. Die in den vergangenen Jahren erfolgte Verbesserung der Lebensverhältnisse hat zu einer drastischen Erhöhung des Anteils Jugendlicher geführt. Viele von ihnen sind hoch qualifiziert, orientieren sich am westlichen Lebensstil und sind eher laizistisch geprägt. Was übrigens auch für den Iran gilt. Aber diese Jugend ist ohne Perspektive, über die Hälfte sind arbeitslos, die meisten anderen prekär beschäftigt und sie werden sich kaum mit der Ausweitung bürgerlicher Freiheiten begnügen. Selbst wenn sich die wirtschaftliche Entwicklung beschleunigen sollte, ist ihre soziale Perspektive ausweglos. Und wie Tunesien zeigt, werden viele lieber ihr Glück in Europa suchen, statt auf den Fortschritt im eigenen Land zu warten.

Diese soziale Dimension schließt auch eine Wiederholung der iranischen Revolution aus, die vor allem vom Bürgertum und von den Intellektuellen getragen wurde, während in Tunesien und Ägypten sämtliche sozialen Schichten auf der Straße waren. Wobei das Gewicht der Jungen überaus groß ist. Und denen geht es nicht nur um Freiheitsrechte, sondern um Arbeit und Aufstiegschancen. Bleiben die aus, ist der nächste Konflikt absehbar.

Nationale Revolutionen im globalen Dorf

Natürlich waren unsere Medien schnell mit Begriffen wie der Facebook-Revolution zur Hand – gewohnt daran gesellschaftliche Umwälzungen als technische zu beschreiben, wir der soziale Treibstoff völlig übersehen. Doch noch entscheidender für den Charakter der arabischen Revolutionen dürfte weniger ihre digitale Kommunikation gewesen sein, als der Zeitpunkt ihres Stattfindens. Der neoliberale Kapitalismus befindet sich in einer weltweiten Krise, in der seine Ausstrahlung nicht nur gelitten hat, sondern auch die Suche nach Alternativen beschleunigte. Vor allem in jenen Ländern, die sich nicht mehr der Illusion hingeben können, der neoliberale Kapitalismus würde ihre eigene Entwicklung beschleunigen, wird wie in Lateinamerika nach einem dritten Weg gesucht. Auch in den arabischen Ländern dürften Utopien von einem Leben jenseits des westlichen Kapitalismus um sich greifen, weil sich dieser nicht weniger blamierte, als die arabischen Herrscher. Die Menschen haben in den letzten Jahren demonstriert bekommen, dass sie in der Globalisierung die schlechteren Karten erhalten haben. Ihre Eliten haben zwar die aus dem Ölreichtum entstandenen Milliarden in westlichen Industriekonzernen oder Finanzprodukten investiert, nicht aber im eigenen Land, was vor allem die besitzlosen Jugendlichen zu eindeutigen Globalisierungsverlierern machte. Und wenn schon die digitalen Netze beim Ausbrüten der Revolution eine Rolle spielten, so vor allem deshalb, weil sie einen schonungslosen Blick auf eine in die Sackgasse geratene Welt eröffnen.

Es ist äußerst schwer zu sagen, wohin sich die arabischen Revolutionen entwickeln werden, aber sie werden keine ausgetretenen Wege gehen. Sicher scheint deshalb, dass weder der sich abschwächende Islamismus noch der in die Krise geratene Kapitalismus genügend Ausstrahlung besitzen, um revolutionäre Phantasien zu beflügeln. Bleiben die revolutionären Bedürfnisse lebendig, und das dürfte vor allem geschehen wenn sich die Rebellion auf andere arabische Länder ausdehnt, dann dürfen wir uns auf einige Überraschungen gefasst machen. 

Harald Werner 17.Februar 2011

 


[angelegt/ aktualisiert am  17.02.2011]